Das Wort „Minister“ ist eine lateinische Bezeichnung. Zu deutsch: „Diener“. Das klingt fern. Heute vielleicht ferner den je. Denn zum Wandel der Moderne gehört – mit dem Streben nach Autonomie des Menschen und dem Abschied von Gott – die Verschiebung des Verständnisses von Herrschaft: sowohl der Herrschaft über die Natur als auch der Herrschaft über den Menschen. Der Aspekt des Dienens trat immer mehr zurück. Durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts wurde er sogar diskreditiert. Schlussendlich wurde das „Dienen“ etwas Negatives: eine Dienstbarmachung, eine Unterwerfung. Aller Streit um Elite, alle Kritik an Eliten zeugen davon.
Der Begriff Elite ist aber eng mit der Vorstellung des Dienens verbunden. Die streitentscheidende Frage ist nur: Sind Eliten diejenigen, die besonders dienen sollen, oder diejenigen, die sich am besten selbst bedienen können?
Ein Wort des Evangeliums gibt darauf eine klare Antwort: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht. Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen...“ (Mt. 20,26 f. ).
Hat unsere Gesellschaft trotz rapiden Anwachsens des Dienstleistungssektors diese Haltung vergessen? Hat der Abschied von Gott auch den Begriff des Dienens in ein negatives Licht getaucht?
Dies ist tragisch, den sogar die, die „Gott abschaffen wollten“, die Akteure der französischen Revolution, glaubten von sich selbst, eine „dienende Avantgarde“ zu sein. Diese Avantgarde habe, so sagte zum Beispiel Claude Henry de Saint Simon (1760-1825), eine „wahrhaft priesterliche Aufgabe“, nämlich „eine positive Macht auf die Gesellschaft auszuüben“. Er beglückwünscht die Bürger zu ihren neuen Eliten, „die euch als Avantgarde dienen werden“. Zur Elite gehört also, Vorbild zu sein, Vorbild im Dienen.
Wer heute im Fernsehen oder in der Zeitung täglich von Schmiergeldaffären und Korruption bei „denen da oben“ hört oder liest, dem kann man nicht verdenken, wenn er unter Elite diejenigen versteht, die die Sahne abschöpfen und den andern die Magermilch lassen. Das eigentliche Schlimme daran ist, dass „die da oben“ eben darum noch beneidet werden. Denn, so heißt es dann, die „hätten es eben geschafft“. Und selbst so bleiben sie noch Vorbilder.
Kein Wunder, dass es in den sogenannten dienenden Berufen an Nachwuchs fehlt. Statistisch jedenfalls. Aber wer in seiner Umgebung die Mutter wahrnimmt, die das kranke Kind pflegt, den Arzt, der auch um 03:oo Uhr nachts verfügbar ist, den Handwerksmeister oder Unternehmer, der nicht schlafen kann, weil er seine Leute nicht mehr halten kann, all die, die sich unauffällig abrackern, um den Kunden oder Auftraggeber zufrieden zu stellen – froh und freundlich dazu – und zahllose Eheleute und Eltern, die sich wie selbstverständlich treu bleiben und durch Dick und Dünn zueinander stehen, ist gleichwohl berührt von so viel stillem Heldentum des Dienens. Das ist es, was schließlich zählt.
Hans Thomas ist promovierter Mediziner und Autor zahlreicher Publikationen zur ärztlichen Berufsethik und anderen interdisziplinären Themen. Er ist Geschäftsführer des Lindenthal-Instituts in Köln.